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Sohn des Brüxer Henkers Paul Huss. Vaters Versuch, den Sohn am Gymnasium studieren zu lassen, stieß auf Hass des hiesigen Bürgertums sowie auf Vorurteile der damaligen Zeit. Der Spott seitens der Mitschüler und die Schikane durch die Lehrer zwangen den begabten elfjährigen Karl, die Schule zu verlassen. Die Brandmarkung der „unehrlichen“ Herkunft und des unvollberechtigten Mitgliedes der Zivilgesellschaft musste Huss sein ganzes Leben lang tragen. Als er am Ende seines Lebens Anerkennung und Achtung errang, war dies nicht durch einen Wandel der Gesellschaftsansichten geschehen, sondern allein durch seinen Fleiß, seine Bildung, seine vom großen moralischen Pathos getragene Lebenseinstellung sowie seinen bürgerlichen Stolz.

Nachdem er die Schule verlassen hatte, erhielt er Privatunterricht und entschied sich schließlich, nach dem Vorbild Vaters Henker zu werden. Mit 15 Jahren führte er seine erste Hinrichtung durch und als achtzehnjähriger Henkermeister ging er auf die Wanderschaft, um die Welt kennen zu lernen. Im Sommer 1779 kommt er nach Eger, wo sein Onkel Scharfrichter war. Huss hält sich hier über ein Jahr auf und führt für den alten Onkel drei Hinrichtungen durch, bei denen er Geschick und Meisterschaft unter Beweis stellte.

Im April 1781 kehrte Huss auf Dauer nach Eger zurück und übernahm die freigewordene Stelle des Stadthenkers, die er weitere 47 Jahre innehatte. Dank seinen umfangreichen Heilkenntnissen wurde er bald zum beliebten ‚Wunderheiler’ und man rief ihn auch in die bürgerlichen Familien. Hier lernte er die Tochter des Bäckermeisters Eberl kennen, die er nach einer abenteuerlichen Entführung aus dem Elternhause und trotz andauerndem Widerstand der Eltern schließlich heiratete. Das Paar Sofia und Karl, wie er sich und seine Frau in seiner eigenen Biographie beschreibt, lebte nur füreinander und abseits der bürgerlichen Gesellschaft, denn „ihren Personen war keine Achtung gebührt“. Diese Ausgrenzung aus der Gesellschaft war auch durch die Lage des Scharfrichterhauses symbolisiert, das sich hinter den Stadtmauern befand. Trotzdem gab es Anfang des 19. Jahrhunderts keinen bedeutenden Besucher der Stadt Eger, der das kleine Fachwerkhaus hinter dem Mühltor unter der Burg nicht besuchen wollte.
Huss nutzte die ihm aufgezwungene gesellschaftliche Isolation zum Studium und zur Selbstbildung. Aus den alten Münzen, die er für seine Heilkunst bekam, begann er eine numismatische Sammlung zusammenzustellen, als Autodidakt widmete er sich der Mineralogie und belieferte mit ausgefeilten Mineralkollektionen aus dem Egerland führende europäische Kabinette sowie private Sammler. Die Egerer Gymnasialprofessoren für Poetik und Geschichte A. Grassold und A. Libscher machten Huss mit den Grundlagen der Geschichte vertraut, daraufhin sammelte Huss Belege und Gegenstände zur Geschichte der Stadt und rettete zahlreiche gefährdete Antiquitäten. Das Egerer Scharfrichterhäuschen verwandelte sich allmählich in ein kleines Museum. Dank den Kurgästen verbreitete sich schnell die Nachricht über den bedeutenden Sammler und gebildeten Henker, die Berliner Zeitungen berichteten über die Egerer „Merkwürdigkeit“, mit Huss nahmen führende Wissenschaftler Briefwechsel auf und eine Besichtigung seiner Sammlungen gehörte zum Gesellschaftsprogramm aller Kurhonoratioren. Kein Wunder daher, dass zu den regelmäßigen Besuchern dieses ersten Egerer Museums bei seinen häufigen Kuraufenthalten auch der größte deutsche Dichter J. W. Goethe wurde.

Huss war jedoch nicht nur ein Sammler. Seine allseitigen Interessen und Fähigkeiten führten ihn bald auch zur Forschungstätigkeit im Bereich der Regionalgeschichte und der Volkskunde. In den Jahren 1797-1828 verfasste er die umfangreiche vierbändige Chronik der Stadt Eger, die vor allem für die Zeit, die Huss als Zeitzeuge aufzeichnet, eine wertvolle Aussage über die damaligen Verhältnisse darstellt. Neben dem faktographischen Wert ist die Huss’ Chronik ein Beispiel eines authentischen, eigenartig eingenommenen sowie kritischen Berichts über das Leben der Stadt. Aus Huss’ Eingenommenheit für die Wahrheit entstand auch seine Schrift Über den Aberglauben, in der verschiedenste Erscheinungen der Abergläubigkeit systematisch eingeordnet und erklärt sind, wie er sie persönlich auf seinen Reisen durchs Egerland kennen lernte. Huss entschleierte unversöhnlich verschiedene Scharlatane, Kurpfuscher und Geisterbeschwörer. Aus dem Hintergrund der ganzen Schrift, wo er zwischen der echten Hilfe und dem Betrug unterscheidet, geht hervor, dass es sich auch um die eigene Verteidigung handelte, denn als Heiler wurde er ständig von offiziellen Apothekern und Wundärzten angegriffen. Zusammen mit der Abhandlung über das Egerer Land gehört diese Handschrift unumstritten zu den ethnographischen Grundarbeiten aus dem Egerland.

Huss war gleichzeitig auch ein begabter Zeichner. Seine kolorierten Illustrationen der Chronik, Abbildungen von Gebäuden und Denkmälern in der Handschrift über die Kulturdenkmäler aus Eger und seine Zeichnungen aus dem Verzeichnis der Egerer Wappen stellen bis heute einen Zeitbeweis des ungewollten Zaubers der Abbildung sowie eine unschätzbare ikonographische Quelle dar.

Weniger bekannt sind Huss’ zahlreiche Versuche um meditative Essays und dichterisches Schaffen. Und gerade darin zeigen sich am eindeutigsten die Größe sowie Widersprüchlichkeit dieser merkwürdigen Persönlichkeit – des letzten Egerer Henkers und Wunderheilers und zugleich ersten Sammlers und Museumsmachers der Neuen Zeit, Chronisten und Zeichners, Essayisten und Dichters. Der Schriftstellerteil seines Nachlasses präsentiert uns Huss in einer ausgeprägten Form als typische Gestalt der widersprüchlichen Zeit an der Schwelle des 18. und 19. Jahrhunderts. Der leidenschaftliche Moralist, in tiefer Religiosität versunken, ist gleichzeitig ein kritisch aufgeklärter Beobachter seiner Zeit.

Im Jahre 1824 stirbt Sofia und der immer älter werdende Huss lebt die nächsten drei Jahre einsam in seinem Scharfrichterhaus. Die Sorgen um Erhaltung seiner Sammlungen brachten ihn dazu, sie der Stadt zum Kauf anzubieten. Der Egerer Stadtrat, angeführt vom Bürgermeister Totzauer im Geist der rationellen Modernisierung der Stadt, zeigte an der Sammlung Huss’ jedoch kein Interesse. Mit Hilfe des Magistratsrates J. S. Grüner, den er von den gemeinsamen Begegnungen mit Goethe kannte und der ebenfalls zu den ersten heimatkundlichen Erforschern des Egerlandes gehörte, wandte sich Huss an den Fürsten Metternich. Dieser war mit der Übernahme der Sammlungen einverstanden und es wurde ein Vertrag unterzeichnet, laut dem Huss eine lebenslange Rente von 300 Florins, freies Wohnen mit Beheizung und die Stelle des Kustoden der Schlosssammlungen gewann.
Im Mai 1828 fährt Huss auf vier mit 21 Kisten geladenen Wagen alle aufgehäuften Sammlungen zur Geschichte der Stadt Eger nach Königswart. Im Laufe von drei Monaten baute er hier seine Sammlungen auf und wurde zum Verwalter eines der ersten Schlossmuseen. Dem erfüllten Ziel seines Lebens, sich der Sammlertätigkeit und den schönen Wissenschaften zu widmen, blieb er noch weitere zehn Jahre treu. Er starb mit 78 Jahren. Seine Sammlungen und der schriftliche Nachlass blieben auf Dauer im Königswarter Schloss untergebracht.